Was sonst seit November so geschah…

Drei Tage in Münster

Gestaltungsstrategie Sektion „Warten auf den Befund“. Ich trinke Cappuccino. Ich esse einen Bagel. Ich kaufe Wolle. Ich kaufe Espressobohnen. Ich gehe in den Dom. Ich gehe ins Museum. Ich trinke einen weiteren Cappuccino. Ich esse ein Stück Himbeertorte. Ich koche Kartoffeln. Ich pelle Kartoffeln. Ich buttere und salze Kartoffeln und esse sie. Ich trinke einen Espresso. Ich guck bei facebook vorbei. Ich guck bei whatsapp vorbei. Ich check meine Mails. Ich check mein Bankkonto. Ich guck nochmal bei facebook vorbei. Ich mache ein Nickerchen. Ich stricke drei Reihen. Ich lese zwei Seiten. Ich wasche den Kartoffeltopf ab. Ich wasche den Teller, das Glas, die Gabel, das Messer ab. Ich mache ein Nickerchen. Ich guck bei facebook vorbei. Ich stricke fünf Reihen. Ich löse „um-die-Ecke-gedacht“. Ich freu mich. Ich mache Abendbrot. Ich esse Abendbrot. Ich stricke, bis ich ins Bett gehe. Ich trink vorher noch einen Caro, null Koffein. Ich schlafe. Ja, das klappt.

 

Dezember 2014

So feiere ich, die Krebskranke, Advent: Aller guten Dinge sind drei. Im Jahr 1 wickle, stecke und gestalte ich den Adventskranz, aber die Wohnung, nein, die Wohnung schmück ich nicht. Jedes Zweiglein ein Nadelstich der Erinnerung, jedes Kerzlein glühende Kohle ins Herz. Keine Kraft für Gold, Glanz und Flitter. Also dekoriert die große Tochter das Haus exakt so, wie ich es sonst mache. Fröbelsterne glänzen am Fenster, silberne Sterne baumeln über dem Esszimmertisch, gebastelte Engel aus dem Kindergarten schweben vor dem Küchenfenster.

Im Jahr 2 übernimmt meine Tochter sowohl den Adventskranz als auch das Projekt Unsere-Wohnung-soll-adventlich-werden. Beides begrüßt mich strahlend, als ich mit dem Mann aus einem einwöchigen Urlaub in der Türkei zurückkomme. Ich freue mich selig.

Im Jahr 3 nehm ich am 1. Advent morgens ein schmales Porzellantablett, lege zwei Zweiglein um vier Kerzlein, drapiere drei Nüsslein drumherum, und: Advent, Advent, ein Lichtlein brennt! Mein minimalistischer Advent entzückt mich. Die Berge von Tannengrün lass ich da, wo sie waren: draußen.

Und: Im Jahr 3 schmück ich das Haus! Aber erst nach Nikolaus. Da will der Adventsglanz in die Hütte einziehn und flüstert mir zu: Begib dich auf den Dachboden, begib dich direkt dorthin, gehe nicht an den Weihnachtskartons vorbei, sondern öffne sie. Ziehe alle jahrelang gesammelten Schätzelchen heraus. – Ich wähle auch hier eine minimalistische Lösung, ein Teil der Fröbelsterne muss den Schwestern aus Stroh weichen.

Vierundzwanzig Tage hat auch dieses Mal der Advent, da hält er sich dran, und ich bastle, werkle und stricke so vor mich hin, mich nicht zu sorgen, das ist mein Sinn. Weihnachtsstress? Mach ich mir nicht. In der Stadt mach ich kehrt, als ich die Menschenmassen durch die Geschäfte treiben seh. Ich steuere mein Lieblingscafé an und nehm mir eine Torten-Auszeit.

Ist das mein letztes weihnachten? Die sorge treibt mich diesmal kaum um. Und wenn es so ist, dass dies mein letztes Weihnachten ist: Dass ich dieses Weihnachten feiere, ist schon Fest genug. Ich beschließe mit mir selbst einen Pakt: Hiermit gelobe ich, nicht zum dritten Mal davon überzeugt zu sein, dass dies mein letztes Weihnachten ist. Ich gelobe ferner, auf jeglichen Gedanken dieser Art zu husten, ihm die Arschkarte zu zeigen, schnurstracks und ruckzuck!

Aber die Karten von Heilig Abend werden neu gemischt: Weihnachten wie letztes Jahr will ich nicht. Den Kindern sag ich: Wollt ihr Baum, Krippe und Ochs und Esel im Stall, dann packt mit an! Ich brauch das alles nicht für mein persönliches Weihnachten. Mama, ohne Krippe, ohne Baum, wo kommen wir da hin? Das machen wir und dazu kocht jeder von uns einen Gang und dann gibt es Singen und Bescherung und danach eine kulinarische Schlacht!

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(Wesen taucht aus Stoffhaufen auf, dehnt und reckt sich)

Ah, was für ein Tag! Ich fühl mich pudelwohl in meiner Haut. Hier bin ich Herr, hier kann ich sein. Ich wachse und gedeihe auf bestem Nährboden, meine Wachstumsrate zeigt steil nach oben, nun ist es an der Zeit: Als erfolgreich operierendes Unternehmen stellt sich mir die aufregende Frage: Wohin expandiere ich, wo siedle ich mich an, lasse mich nieder, erschließe mir neue Märkte?

 

(rollt eine riesige Papierrolle mit dem Grundriss des menschlichen Körpers aus)

Zuverlässigstes Transportmittel ist die Blutbahn, damit komme ich am schnellsten voran. Die Straßen sind frei, die Verbindungen sicher, bis zu den abgelegensten Regionen gut ausgebaut und funktionieren, Verspätungen sind nicht zu erwarten, ebenso wenig Wartezeiten. Rasch zu erreichen sind die Lymphknoten. Ich könnte erstmal die nächstgelegenen ansteuern, der Rest läuft dann quasi von selbst. Von deren Seite ist anfänglich Widerstand zu erwarten, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass dies nur eine kurze Episode bleiben wird. Gut gelegen ist die Lunge. Sich an die Alveolen zu schmiegen muss sich anfühlen wie Bällebad bei IKEA.

Die Leber gilt auch als sichere Bank, bietet den Vorteil, dass ich unbemerkt eine Reihe von Transaktionen ausführen kann. Blutwerte können mir da lange nix. Mir ist zu Ohren gekommen, manche mögen Leber gebraten mit geschmorten Zwiebeln, wie unappetitlich!

Immerhin ist es von da aus nicht weit zum Magen und zum Darm, leckeren Nährstoffquellen. Hoffentlich fressen die nicht so’n Ökozeug und so viel Hasenfutter und trinken dauernd grünen Tee. Davon krieg ich Sodbrennen.

Die Knochen sind ein vielversprechendes Betätigungsfeld, aber hoffentlich fühlt es nicht zu spröde an. Bietet reichlich Terrain in alle Richtungen, reizvoller Gedanke.

In den Top-Charts ganz oben ist aber das Gehirn. Oh Mann, 3-D und Entertainment rund um die Uhr. Könnte natürlich sein, dass mir die Dauerberieselung irgendwann auf die Nerven geht. Wenn es da ständig surrt und brummt. Doch wer sich da zu etablieren versteht, hat das große Los gezogen. Nur der Ort will gut gewählt sein, dann kann einen nichts und niemand von dort vertreiben. Da sind selbst ihre neuen Star-Wars-Nuklear-Abschuss-Roboter ein Witz.

Also, auf ans Werk! Ich fühl die Säfte frischer fließen, neu erblühet alter Schwung. Auf zu neuen Ufern, zu neuen Stränden! Nur wer Visionen hat, gewinnt! Mein Name steht für Erfolg. Mein Name ist Programm. Ich bin der Krebs.

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Da sind so dunkle Schatten um die Augen,

ich seh sie an, die kenn ich nicht.

Da sind so dunkle Schatten um die Augen,

die sehn mich an und sagen schlicht:

S’ist bald schon, dass dein Herz gebricht.

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Januar 2015

Das Kontrastmittel kredenzt die Flensburger Diako sympathisch abgefüllt in der Mineralwasser-Glasflasche „Unser Gutes Husumer“. Prost! Nach den ersten Schlucken ist jeder weitere Schluck eine Strategie gegen das Erbrechen. Atem holen, trinken, dabei nicht atmen, um nichts zu riechen, das soll es leichter machen. Also halte ich den Atem an, setze den Becher an die Lippen, trinke zwei, drei Schlucke, setze den Becher ab, atme aus. 300 Milliliter schaffe ich, mühsam Schlückchen für Schlückchen, dann weiß ich: Noch ein Schluck mehr und ich erbreche alles, mir ist speiübel. Die Innenwände der Wände krampfen sich sich zusammen, saurer Saft steigt hoch, ich konzentriere mich mit aller Kraft auf den Gedanken: Nein, nicht erbrechen. Das schmeckt doch lecker, das gute Husumer. Aber mein Verdauuungssstem lässt sich nicht mehr überlisten. Der Körper erinnert sich sofort an die MRT-Untersuchung des Magen-Darm-Trakts vor knapp zwei Jahren wegen des Verdachts auf einen neuen Crohn-Schub. Damals trinke ich die zwei Flaschen Kontrastmittel so schnell wie möglich, bloß hinter mich bringen. Während der Untersuchung, festgeschnallt, im Gerät liegend, drücke ich nach wenigen Minuten panisch die Klingel. Ich werde auf der Bahre aus dem Gerät gefahren, abgeschnallt. Mir ist so schlecht. Mühsam setze ich mich auf, atme durch, alles dreht sich. Gehts wieder? Ja. Zweiter Versuch. Anschnallen, rein in die Röhre. Ich schaffe es nur noch zu klingeln, dann erbreche ich mich in einem riesigen, verzweifelten Schwall, mitten im Gerät. Alles ist voller Kotze. Meine Kleidung, die Decke. das Gerät. Ich fühl mich elend, ich fühl mich schlecht, ich fühl mich schuldig. Ich bin eine schlechte Patientin. Ich werde abgewaschen, ausgezogen. Zitternd taste ich mich zur Umkleide zurück, sitze Zähne klappernd in der Umkleide, bis ich überhaupt wieder in der Lage bin, mich anzuziehen. Kein Pfleger, keine Fachkraft, niemand nimmt Notiz. – Bei der Visite will der Arzt die Untersuchung erneut anordnen. Ich weigere mich. Nicht noch einmal.

***

Vor dem CT.

Ich liege auf der Bahre. Über mir im vierkastigen Fadenkreuz blauer Himmel und eine Sonne, die durch die Wolken glüht. Zwar nur eine Fotografie, aber doch eine Ablenkung, ein Trost, ein mit-den- Gedanken-woanders-hin-treiben, ein Gedanke, da liegt ein Mensch. Tu etwas für ihn. Dankbar für jedes Quentchen Aufmerksam-, Achtsamkeit.

Der obligatorische Venen-Anstich. Doch Blut fließt nicht. Die Kochsalzlösung, zur Probe gespritzt, zerreißt die Gefäßwand. Der Arm kriegt eine Beule, brennender Schmerz. Erneuter Anstich auf der anderern Seite. Da endlich: Ozapft ist!

Die Untersuchung längst Routine. Ohrringe und BH streife ich routinemäßig ab, eine Thermostrumpfhose hab ich mitgebracht. Als CT-Profi weiß ich, dass die Geräte dauergekühlt werden müssen. Es ist mir ein Rätsel, wie die radiologischen Assistenten bei diesen Termperaturen hemdsärmelig rumlaufen können. Aber die sind so auf Zack, da bleibt fürs Frösteln gar keine Zeit.

Zuhause vor dem Kleiderschrank wird vor den Untersuchungen sorgfältig ausgewählt und geprüft: Kein Metall, keine Nieten, warm genug, leicht mitzunehmen, schnell an- und auszuziehen? Krankenhausvorcheck. Ich packe meinen Staging-Koffer und nehme mit: die warme Strumpfhose, alternativ Wollsocken und eine Jogginghose. Vorsicht vor den kleinen Metallösen um das Bindeband. Die Hose kriegt im MRT sonst schnell die rote Karte. Gegen die Langeweile eine Auswahl, weil ich mich vorab nicht entscheiden kann: Strickzeug mit einem Knäuel extra (falls ich sehr viel stricke), das ipad, um Notizen festzuhalten, das Smartphone, um mit dem Rest der Welt zu kommunizieren. Für ein Buch kann ich mich nicht entscheiden, zu anspruchsvolle Lektüre scheidet wegen Konzentrationsmangel aus. Auf Schnulzen hab ich keine Lust, Krimis reizen mich nicht mehr. Wer entwickelt mal einen Kanon geeigneter Krankenhausliteratur? Unterteilt in U30, Ü50 usw. Gute Zeitschriften sind nicht zu erwarten. In der Uniklinik kann ich im Quartalsrhythmus meiner Untersuchungen die seit drei Jahren ausliegenden Zeitschriften wieder und wieder lesen. Die Landlust macht weder Lust auf Land noch auf Rezepte oder sonst was, so zerfleddert, wie sie ist. Ein TV-Käseblatt empfahl kürzlich in der Rubrik „So erkennen Sie einen guten Arzt“: Im Wartezimmer liegen verschiedene, aktuelle Zeitschriften aus. Aha.

Ich staune. Pünktlich wie die Maurer schickt mich die Radiologin in die MRT-Röhre. Dumpf atmend und schwer stampfend wartet das riesige Gerät darauf, mich in seinen Bauch aufzunehmen. Um meinen Kopf wird ein verstrebtes Plastikgitter gesetzt. Klick. Der Kasten sitzt. Der Kopf ist fixiert, Drehungen sind unmöglich. Drehungen unmöglich. So muss sich Darth Vader fühlen, wenn er seinen Helm aufschraubt. Willkommen in einer neuen Folge meiner eigenen Science-fiction-Serie. Mission Überleben. Wohin wird die Reise gehen? Das verraten Ihnen die neuen Befunde vom Staging Nummer Ix-Ypsilon-Zet. Folgen wird eine Woche Warten auf die Ergebnisse, das garantiert die maximale Spannung. Das schafft kein noch so guter Cliffhanger.

Ich staune immer wieder, dass ich während der MRT-Untersuchung regelmäßig einschlafe, während die Maschine ihre wilde, ohrenbetäubende Kakophonie in meine Ohren kreischt und kracht. Die Ohrenschützer bieten nur minimalen Schutz. Na, ging die Untersuchung?, fragt mich die Assistentin mitfühlend (einen Satz, den ich von dieser Situation nicht kenne, die Klinik wird mir immer sympathischer, da lass ich jetzt immer das Staging machen), für andere Patienten ist diese Untersuchung Folter. Ausloggen fällt mir in jeder Situation leicht. Früher hieß es, neben mir könnten Bomben einschlagen, ich würde weiterschlafen. Den Lärm ignoriere ich, an meine Grenzen bringt mich das Trinken des Kontrastmittels.

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